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Freitag, 8. Januar 2010

Interview Rosanne Cash an der AVO-Session 09

Als Teenager haben Sie Countrymusik gehasst. Wann hat sich das geändert?

Ich habe die Musik meines Vaters immer geliebt. Aber als Ganzes hat mich Countrymusik nicht sonderlich interessiert. Doch dann machte mir mein Vater 1973 eine Liste mit einhundert grundlegenden Countrysongs schrieb. Ich hatte gerade die High School abgeschlossen und begleitete ihn auf seiner Tour. Wir fingen an über Musik zu reden und er erschrak, weil ich kaum einen Song kannte, den er erwähnte. Also sass er hin, schrieb mir die Liste und gab sie mir mit den Worten: „Das gehört zu deiner Erziehung.“

Wie haben Sie darauf reagiert?

Ich nahm es mir zu Herzen. Noch zwei Jahre früher, hätte es mich wohl genervt. Aber ich war achtzehn und ich wollte mit meinem Vater zusammen sein. Ich sah ihn und die Carter Family jeden Abend auftreten. Und anschliessend zeigte mir Helen Carter, wie man die Songs spielt. Es war wie eine grosse Tür, die plötzlich für mich öffnete.

Aber dann haben Sie die Liste für Jahre weggelegt.

Ja, doch Gottseidank habe ich sie all die Jahre irgendwo behalten. Jemand hat mir kürzlich erzählt, dass ich die Liste 1978 in einem Interview erwähnt hätte und ich konnte mich nicht mehr daran erinnern. Aber offenbar hatte ich sie nie ganz vergessen.

Und nun diente Ihnen eben jene Liste als Grundlage für Ihr neues Album „The List“.

Lange Zeit hatte ich Hemmungen meinen Vater in irgendeiner Art zu benutzen. Aber mein Ehemann sagte mir: „Das sagst du jetzt schon seit dreissig Jahren und die Liste gehört dir.“ Als wir dann mit den Aufnahmen starteten, waren all die schlechten Gefühle weg.

Nach welchen Kriterien haben Sie die Songs ausgesucht?

Wenn das Album eine Mini-Übersicht der Liste werden sollte, musste Jimmie Rodgers einfach mit drauf, ebenso Hank Williams und natürlich die Carter Family. „Long Black Veil“ war auch klar ­– für mich ist das Herzstück der Platte. Dann haben wir geschaut, zu welchen Songs meine Stimme gut passt. Einige von ihnen singe ich schon seit dreissig Jahren. „Silver Wings“ war lange mein Duschsong.

Gab es Songs, die von Anfang an wegfielen?

Nicht weil ich sie nicht gemocht hätte. Aber auf ein Song wie „Battle of New Orleans“ – warum sollte ich so was singen? Das macht keinen Sinn.

Was ist sonst noch auf der Liste?

Ich will noch nicht allzu viel verraten. Aber um einen Eindruck zu geben: Es hat „History Songs“ drauf wie eben „Battle of New Orleans“, frühe Protestsongs – Woody Guthrie, alte Folksongs, Southern Gospel, Delta Blues. Es war nicht nur Countrymusik, aber all das, was zur modernen Countrymusik führte. Eigentlich hätte er die Liste „Einhundert amerikanische Songs“ nennen sollen.

Ihr Vater hat die Liste 1973 geschrieben. Wenn er dreissig Jahre später eine zweite Version verfasst hätte, war wäre da Ihrer Meinung nach drauf gewesen?

Daran habe ich auch schon gedacht. Ich glaube, es ist problematisch, nun zu spekulieren. Man kann sich aber sicher daran orientieren, was er in dieser Zeit aufgenommen hat, wie beispielsweise Springsteens „Highway Patrolman“ oder George Jones’ „He Stopped Loving Her Today“.

Wenn Sie nun so eine Liste verfassen würden, wie sehr würde sie sich von derjenigen Ihres Vaters unterscheiden?

Es gäbe sicherlich einige Überschneidungen, aber natürlich wäre es eine völlig andere Liste. Ich wuchs im Süden Kaliforniens auf in einer komplett anderen Generation. Unsere kulturellen Bezüge sind völlig verschieden. Andererseits wären sicher viele Songs, wie beispielsweise Hank Williams, die Carter Family oder Dylan auch auf meiner Liste. Aber ich müsste wohl noch ein paar Springsteen Songs auf die Liste hinzufügen. Auch Neil Young, Joni Mitchell, die Beatles wären noch drauf

Als Ihr Vater die American Recordings aufnahm war’s gerade andersrum. Er kriegte eine Liste mit Songs von Rick Rubin. Haben Sie auch mal dran gedacht, sich für seinen Gefallen zu revanchieren.

Eine Liste hab ich ihm nie geschrieben, aber ich habe ihm immer wieder Platten geschickt, so Springsteens „Nebraska“. Ich sagte: „Dad, du wirst diese Songs lieben“ und schlussendlich nahm er zwar davon auf. Wir redeten sehr oft über Musik.

Ihr Vater ist vor sechs Jahren gestorben. Und ich bin immer wieder erstaunt, wer seither auf ihn Bezug genommen hat und wie unterschiedlich sein Werk interpretiert wird.

Es soll ja nicht etwas Untastbares sein. Aber einige Sachen haben mich stinksauer gemacht. Wie zum Beispiel als John Rich ihn letztes Jahr benutzt hat, um im Wahlkampf für McCain zu werben.

Werden Sie oft mit falschen Vorstellungen über Ihren Vater konfrontiert?

Die ganze Zeit! Ideen wie, dass er nicht menschlich sei sondern vielmehr irgendeine Form von Kult- oder gar religiöser Figur. Mit dieser Vergötterung kann ich einfach nichts anfangen. In Wirklichkeit war er sogar sehr menschlich, mit vielen Fehlern. Er war ein Drogensüchtiger, der sein Leben lang mit seinen Dämonen käpfen musste. Aber das heisst nicht, dass er kein grosser Künstler gewesen ist. Er war einer der grössten Künstler des 20. Jahrhunderts. Und er dachte auch wie ein Künstler bei allem, was er tat. Die Art, wie er die Welt hat, ist für mich etwas vom Eindrücklichsten seiner Person. Und dieser Versuch, ihn zu einer eindimensionalen Figur zu machen, auf die man all diese patriotischen Ideen projiziert, ist für mich äusserst frustrierend. Und dazu kommen noch die Ideen, ihn zu einer Cartoonfigur zu reduzieren.

Ich weiss, was Sie meinen. Es gibt wirklich jede Menge Johnny Cash-Accessoires zu kaufen. Kürzlich habe ich sogar eine Actionfigur gesehen.

Damit habe ich nichts zu tun, das können Sie mir glauben. Wenn’s nach mir ginge, gäbe es nichts von dem. Ich hasse es. Er verdient die Würde eines grossen Künstlers. Schliesslich käme auch niemand auf die Idee, aus Picasso ein Spielzeug zu machen.

Letzte Frage: Ich habe gehört, dass Sie mit Kris Kristofferson im Studio waren?

Ja, mit ihm und Elvis Costello. Wir machen ein Projekt zusammen. Wir haben zwei Songs geschrieben und aufgenommen. Einen davon “April 5th” (anhören) haben wir in Elvis’ Fernsehshow “Spectacle” aufgeführt. Es hat so viel Spass gemacht. Aber das Problem ist, dass wir drei nie zur gleichen Zeit am gleichen Ort sind. Aber in den nächsten fünf Jahren kriegen wir hoffentlich eine Platte zusammen.

© Jonas Hoskyn

Danke ans AVO Session Team

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As a teenager you hated country music. When did that change?

I always loved my father’s music. But in whole I wasn’t interested in country music. But that changed when my dad gave me a list of one hundred essential country songs back in 1973. I just graduated from high school and went on the road with my dad. We started talking about music and he became alarmed because I hardly knew any of the songs he mentioned. So he sat down and wrote me that list and said this is your education.

How did you react when he gave you that list?

I took that to heart. Even two years earlier it would have probably bored me. But I was eighteen; I wanted to be with my dad. I was watching him and the Carter Family perform every night. And afterwards Helen Carter showed me how to play the songs. It was like a big door that he opened to me.

But then you put the list away for years.

Yes, and thank God I saved it all this years. Somebody recently told me that I talked about the list in an interview in 1987 and I don’t remember this. But obviously I hadn’t forgot about it completely.

You just released your new album “The List” which contains twelve songs from your father’s list.

Well for a long time I had inhibitions to use my father in any way. But my husband said: “You’ve been doing this over thirty years, and this is your list.” Then once we started the recording all these feelings were gone.

How did you choose which songs to record?

If my album is a mini-overview of the list then Jimmie Rodgers had to be represented. Hank Williams had to be on it. Of course the Carter Family, “Long Black Veil” had to be there – to me that’s kind of the centerpiece. Then we filled it out and looked on which songs my voice sounds the best. Which had I been singing for myself in this thirty years. Like “Silver Wings” that had been my shower song.

Where there any songs on the list that dropped out from the start?

Not that I don’t like them. But there are songs like “Battle of New Orleans” – why should I do that. It doesn’t make sense for me.

What else is on the list?

Well I don’t want to tell yet. But to give you an impression: There were history songs, like “Battle of New Orleans”, there were early protest songs – Woody Guthrie. There were early folk songs, southern gospel, delta blues. It wasn’t just country. The list should have been called one hundred American songs. All of the feeders of what became modern country music.

Your father wrote that list back in 1973. If he would have done a second version thirty years later, what do you think he would have added?

I thought about that. I think it’s dangerous to try to anticipate what he would have thought. I would have to look at what he recorded of other people, like maybe Springsteen’s “Highway Patrolman” or George Jones’ “He Stopped Loving Her Today”.

If you put together such a list, how different would it be from your fathers?

I think there would be some overlap, but of course it would be a different list. I grew up in Southern California in a completely different generation. My cultural references are very different. The same time, a lot of songs like Hank Williams, the Carter Family would still be on my list. So would Dylan. But I think I would have to put a couple of Springsteen songs on the list and some Neil Young, Joni Mitchell, the Beatles…

When your father recorded the American Recordings it was kind of the other way. He got a list of songs from Rick Rubin to listen to. Did you ever think about returning his favor?

Not really a list. But I used to send him records, for instance Springsteen’s “Nebraska”. I said: “Dad you’re gonna love these songs” and he ended up recording two of them. We were talking about music as any people who love music do.

It’s been sex years since your father passed away and I’m always astonished how many completely different people refer to his legacy.

Well you know, it’s not supposed to be a religion. But there were some things that really pissed me of. Like when John Rich used him to campaign for John McCain last year.

Do you think that there are false images of your father?

Of course. Things like, that he’s not human, that he’s a cult, some kind of religious figure. I just can’t participate in that kind of deification. In fact he was very human with a lot of faults. He was a drug addict. He wrestled with those demons for his entire life. But that doesn’t mean that he wasn’t a great artist. He was one of the greatest artists of the 20th century. And he thought like an artist in everything he did. That was to me one of the most compelling things about him, the way he saw the world. So this attempt to make him this one-dimensional figure that you project all of these patriotic ideals on to is very frustrating to me. And on the other hand there are these attempts to reduce him to a cartoon figure.

I know what you mean. There’s really a lot of Johnny Cash stuff out there. Just recently I saw an action figure.

That’s not my doing, believe me. If it was up to me, none of that would exist. I can’t stand it. He deserves the dignity of a great artist. You don’t see Picasso-toys as well. Nobody would think about doing something like that.

Last question: I heard that you have recently recorded with Kris Kristofferson?

Yeah with him and Elvis Costello. We are doing a project together. We wrote and recorded two songs. One of the songs “April 5th” (listen) we performed on Elvis’ TV-show “Spectacle”. It was so much fun. But the problem is that the three of us are never in the same city at the same time. But hopefully for the next five years we could get a record done.

© Jonas Hoskyn

Thanks to the AVO Session Team

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